An Autobiography with Chairs
Ein Gespräch zwischen Jakob Zimmermann und Matilda Felix, Kuratorin der Städtischen Galerie Delmenhorst anlässlich der Ausstellung of matter.painting (05. Feb.–20. März 2022)
Jakob Zimmermann (*1993 in Augsburg) studierte Populäre Musik und Medien an der Universität Paderborn, bevor er 2017 ein Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig begann. In seiner installativen Malerei ist der Bezug zur Popkultur aber weiterhin präsent. Dies spiegelt sich nicht nur in den Themen mit denen er sich auseinandersetzt, sondern auch in seiner Arbeitsweise. Außerdem ist er Mitglied der Künstlergruppe BEZUGSGRUPPE RAINER RAUCH (BRR), mit der er raumgreifende Installationen, Performances und Musik produziert.
Matilda Felix: Seit Du an der Hochschule bist, malst Du. Das ist in den meisten Fällen anders. Viele starten mit Zeichnungen und Malerei, da das ganz traditionelle Wege in die Kunst sind, und verändern sich in der Hochschule. Warum war das bei Dir anders?
Jakob Zimmermann: Mit dem Malen angefangen habe ich, weil ich Kunst studieren wollte. Für die Kunst, bzw. das Kunststudium habe ich mich entschieden, weil mir diese Art zu denken oder auch die Art, sich mit Sachen auseinanderzusetzen, am nächsten lag. Das man eben nicht linear und zielführend, sondern eher mäandernd denken kann. Nach der Schule wollte ich eigentlich Pop-Wissenschaftler werden, so wie Diedrich Diederichsen, und habe zunächst Populäre Musik und Medien studiert. Mir ist aber schnell klargeworden, dass das Schreiben nicht die richtige Ausdrucksform für mich ist.
M. Felix: Welche Berührungspunkte von Malerei und Musik gibt es in Deiner Kunst?
J. Zimmermann: Mein Interesse an Kunst war anfangs stark mit meinem Interesse an Pop verbunden. Und mit Pop meine ich das, was früher in Zeitschriften wie SPEX oder De:Bug verhandelt wurde. Da wurde alles zusammen gedacht: Musik, Kunst, Fashion, Politik, Technik – das hat mich geprägt. Dieses Zusammendenken, alles in einen Topf werfen, und allem erstmal die gleiche Bedeutung zukommen zu lassen, das ist bei mir geblieben. Und was mich an Pop, insbesondere an Punk und Techno immer interessiert hat, ist dieses Selbstverständnis, das jede*r alles kann. Dass man erstmal nichts können muss, sondern es um’s machen geht. Diese Annahme gilt auch für meine Arbeiten.
M. Felix: In Deinen Werken verbindest Du die zweidimensionale Malerei mit Objekten, eigentlich Skulpturen, die eine ganz andere räumliche Wirkung haben. Kunsthistorisch war das lange ein unglaublich umkämpftes Terrain. Vor allem in den 1960er Jahren, als vermehrt an den Grenzen der Gattungen gearbeitet wurde, steckte die Kunstkritik häufig in der Frage fest: Ist es Malerei oder ist es Skulptur? Was interessiert Dich an der Kommunikation zwischen Wand und Raum?
J. Zimmermann: Ehrlich gesagt bin ich ganz froh, dass das in den 1960ern ausreichend diskutiert worden ist und man da heute nicht mehr drüber reden muss. Diese Frage stellt sich für mich einfach nicht mehr. Meine Arbeiten entstehen immer im räumlichen Kontext, ich mache das ja nicht für mein Lager. Also den ganzen Raum zu Nutzen interessiert mich viel mehr, als nur Bild an Wand. Hier in der Ausstellung verknüpfen die bedruckten Teppiche am Boden die Bilder mit den Objekten im Raum, so dass alles netzartig verbunden wird.
M. Felix: Haben Farben, Material, Formate eine Bedeutung oder kann es sein, dass Du in einer Woche an expressiv-abstrakten Gemälden in Postkartengröße arbeitest und in der nächsten ein wandfüllendes, figürliches Motiv umsetzt?
J. Zimmermann: Ein expressiv-abstraktes Gemälde könnte ich wahrscheinlich nie wirklich malen, höchstens als Zitat. Aber natürlich haben Farben, Material und Formate eine Bedeutung, darum geht es ja! Für mich benötigen unterschiedliche Formate auch unterschiedliche Energie, sie stehen in einer ganz anderen Relation zu meinem Körper. Deswegen kann sich das auch ständig ändern. Das macht den Wechsel für mich interessant, allein schon auf einer rein physischen Ebene.
M. Felix: Im Haus Coburg zeigst Du Stuhlobjekte, die Dich in Deinem Leben begleitet haben. Es sind Designklassiker, wie der Thonet S 32 von Marcel Breuer oder vertraute Begleiter, wie der Monoblock Plastikstuhl. In deiner Umsetzung aus Pappmaché verlieren sie ihre Stabilität, scheinen dahin zu schmelzen. Welche Bedeutung gibst Du Alltagsobjekten? Warum wird der Stuhl zum Kommunikationspartner in Deiner Kunst?
J. Zimmermann: Die Idee war relativ simpel: Mein Leben erzählt durch Stühle. An Autobiography in Chairs. Wie man sich bettet, so schläft man und wie man sitzt, so redet man, vielleicht. Jeder Stuhl liefert einen anderen Kontext und das hat mich interessiert. Diese Stühle aus Papier-Maché nachzubauen, macht den industriellen Herstellungsprozess rückgängig. In Braunschweig gab es früher die Firma Stobwasser, die Pfeifen, Tabakdosen aber auch Möbel aus Papier-Maché hergestellt hat. Bis sie insolvent gingen, da ihre Handarbeit einfach zu teuer wurde. Durch diese Einzelstück-Fertigung verbringe ich viel Zeit mit dem Objekt. Das sind mehrere Schichten, die trocknen müssen, manchmal kaputt gehen und repariert werden müssen, denn die Stühle sind genauso fragil wie sie aussehen. Durch diese Zuwendung verändern sich die Objekte. Die Kunstkritikerin Isabell Graw schreibt der Malerei eine Vitalität zu, weil da Lebenszeit reingeflossen ist. Das gilt auch für meine Stühle.
M. Felix: Bei der Vorbereitung der Ausstellung, warst Du sehr offen, was die Arbeit im Raum angeht. Ich hatte den Eindruck, dass Du nicht unbedingt von einer finalen Version eines Werkes ausgehst. Es kann mit anderen kombiniert und ergänzt werden, es kann auf einem Teppich stehen und sich dem Raum anpassen und in einer anderen Situation ganz anders agieren. Wie siehst Du das, haben Deine Werke eine Flexibilität, die vielleicht auch ein Spiegel ist für die Flexibilitätsanforderungen, die heute an die Menschen gerichtet wird?
J. Zimmermann: Nein, bitte nicht. Eine „finale Version“ hat für mich etwas Geniekulthaftes, das möchte ich unbedingt vermeiden. Es geht mir um etwas Anderes: Das Anordnen und Kombinieren begreife ich als Spiel, bei dem sich neue Bezüge und neue Bedeutungen herstellen lassen – wenn alles gut geht. Wie beim Sampling und Remixen in der Musik. Und moderne Flexibilitätsanforderungen sind meistens nicht spielerisch, sondern eher das genaue Gegenteil.
M. Felix: Wenn Du das Leben als Künstler in Corona Zeiten zusammenfassen müsstest, was wäre dein Kommentar dazu? Was ist Deine Corona-Erfahrung? Wie hast Du in den letzten Monaten gearbeitet, wie wirkten sich die Restriktionen auf Dich aus? Welche Unterstützungen hast Du bekommen? Welche würdest Du Dir wünschen?
J. Zimmermann: Es gab im Internet dieses Meme zum Jahreswechsel: When you find out that 2022 is spelled: 2020, too. Und so fühlt sich das langsam an, wie in einer Schleife, Leben im Loop. Bis vor Kurzem habe ich in einem Haus gewohnt, in dem die oberste Etage unrenoviert leer stand. Mein Vermieter hatte mir diese Etage als Atelier überlassen, kostenlos. Das war natürlich ein toller Luxus – auch wenn es da weder Heizung noch Strom gab. Es tat gut, mit viel Platz ungestört arbeiten zu können und nicht auf Einschränkungen im Gruppenatelier achten zu müssen. Aber so langsam reicht es auch echt mit der Introspektion. Wenn das soziale Drumherum wegfällt, leidet das Kunst- und auch jedes andere - studium. Manchmal kann ich gar nicht glauben, wie easy und spontan alles früher war. Momentan mache ich ein Auslandssemester in Brüssel. Aber wenn man Kontakte vermeiden soll, und vieles geschlossen ist, lässt sich eine Stadt nicht erleben.
M. Felix: Hast Du in den letzten Jahren eine Ausstellung, ein:en Künstler:in gesehen, die Dich beeindruckt hat, an die Du häufiger zurück denkst?
J. Zimmermann: An Weihnachten war ich bei meinen Eltern und habe das Volkskundemuseum in Oberschönefeld besucht. In der Dauerausstellung dort wird das Leben auf dem Land, wie es früher war, illustriert. Da gibt es ein Video, in dem – nach traditioneller Art – eine Sau geschlachtet wird. Im Dezember war ich auch in Wien und habe in den Museen viel Wiener Aktionismus gesehen. Aber ganz ehrlich: Gegen diese nüchterne, kurze Land-Doku können die einpacken.
Matilda Felix kuratiert, publiziert und lehrt im Bereich der Moderne und der Gegenwartskunst. Seit 2021 ist sie Leiterin des Haus Coburg - Städtischen Galerie Delmenhorst. Davor war sie Kuratorin am Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin.