Ein Gondellied

Eine der wildesten und kuriosesten Verfolgungsjagden in einem James-Bond-Film findet in Venedig statt. In „Moonraker“ entwickelt sich aus einer zunächst ruhigen Gondelfahrt nach und nach ein großartiges Spektakel. Bei seinem Versuch, den brutalen, aber tölpelhaften Verfolgern in den Kanälen zu entkommen, richtet Bond mit seiner vom genialen Q motorisierten und mit vielen weiteren Finessen ausgestatteten Gondel allerlei Unheil an. Am Ende gelingt es dem stets cool und elegant agierenden Superagenten mit der Lizenz zum Töten, wie zu erwarten war, seine Widersacher abzuschütteln. Im letzten Moment aktiviert 007 per Knopfdruck ein stilvoll im Design der Gondoliere-T-Shirts gehaltenes, rot-weiß gestreiftes Luftkissen unter seinem Gefährt. So wechselt er vom Wasser aufs Land und schwebt zur Verblüffung der Verfolger und Touristen in aller Ruhe über den Markusplatz davon.
Derart humorvoll gelingt es selten, das verkitschte Bild Venedigs mit seinen romantisierenden Gondelfahrten für Verliebte zu entzaubern. Und dennoch: Auch in der Verballhornung klingt noch die geheime Faszination für dieses sonderbare Wasserfahrzeug und die außergewöhnliche Kulisse mit. Ob man will oder nicht, man kommt an den Gondeln nicht vorbei. Martin Kippenbergers völlig seeuntüchtige Gondel mit dem Titel „Sozialkistentransporter“ ist nur ein Beispiel für diese letztlich wohltuende Ambiguität unseres Blicks auf die Lagunenstadt, für das gleichermaßen Anziehende und Abstoßende der tatsächlichen oder eingebildeten venezianischen Lebensart. Da wir diesen Widerspruch offenbar nicht auflösen können, müssen wir ihn wohl aushalten. Oder uns an ihm abarbeiten. Und dann spielt man vielleicht, wie es Karl Marx treffend formuliert hat, den verstörenden Verhältnissen so lange ihre eigene Musik vor, bis diese zu tanzen beginnen. Genau das tut Jakob Zimmermann mit seiner aus Dachlatten, Maschendraht und Pappmaché konstruierten Gondel auf eine leichte und doch tiefgründige Art und Weise. Entstanden ist dabei ein dissonantes Gondellied der unbeschwerten Art.

Text von Andreas Bee zur Skulptur "Gondel" von Jakob Zimmermann im Rahmen der Meisterschüler*innen-Ausstellung "how to approach a dream gently" im Kunstverein Braunschweig 2024. 
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